Pünktlich zum Spiel baten wir @Spielbeobachter zum Interview. Dieser hat heute ein ganz schweres Spiel vor sich. Er ist nämlich Anhänger des 1. FC Köln und von Union Berlin. Nur wem hält er heute Abend die Treue?
Hallo @Spielbeobachter, heute steht für dich ein besonderes Spiel auf dem Programm. In deiner Brust schlagen 2 Herzen, das von Union Berlin und des 1.FC Köln. Wie kam es zu dieser Konstellation?
Ich bin gebürtiger Kölner und schloss als solcher, wie jeder vernünftige Kölner, den #effzeh in mein Herz, vor ungefähr 33 Jahren, im Jahr nach dem Erringen der letzten Meisterschaft. Was ja für sich genommen schon mal recht blöd ist. Später führte mich das Leben dort hin, mal hier hin, wobei hier für Berlin steht, wo ich jetzt seit 18 Jahren lebe. Das waren noch die Zeiten, als der geneigte Fußballfan – so man nicht gerade Fan des FC Bayern war – die eigene Mannschaft nur höchst selten mal in voller Länge im Fernsehen zu sehen bekam. Und überhaupt: Ausschließlich Fußball aus der Dose schadet auf Dauer der mentalen Gesundheit. Also beschloss Zara.. ähm: der Spielbeobachter: Mal die Berliner Vereine antesten, nicht als Liebesersatz, sondern eher als Ab-und-an-mal-Fußball-Live-Möglichkeit. Dann ergab es sich, dass Freunde von mir begonnen hatten, regelmäßig zu Union zu gehen, ich ging mit und was soll ich sagen: Es war wunderbar. Das Stadion (damals noch renovierungsbedürftig), die Fans, die Mannschaft – Fußball, wie er sein sollte. Es fiel mir sehr leicht, wieder zu kommen. Was ich seit mittlerweile 11 Jahren auch regelmäßig mache.
Wem drückst du denn heute Abend die Daumen, oder jubelst du bei beiden Mannschaften mit?
Seit dieser Saison besitze ich eine Union-Dauerkarte, und doch werde ich am Freitag im Gästeblock stehen. Noch Fragen? Ja, jede Menge: Das letzte und einzige Erlebnis dieser Art neun Jahre her. Nicht nur ist Union seitdem von einem Flirt zu einer echten Zweitliebe gewachsen (Lang lebe die Polyamorie!), es ist leider auch eine völlig andere Tabellenkonstellation. Damals spielte der effzeh um den Aufstieg und brauchte die Punkte, während Union im Niemandsland rumdümpelte. Jetzt sind wir leider in einer Situation, in der eine Niederlage beiden Mannschaften erheblich weh tun würde. Verdammte Axt. Wie wäre es mit einem grandiosen, alle berauschenden 6:6?
Wie beuteilst du den Saisonauftakt beider Mannschaften?
Beschissen. Nächste Frage. Na gut, ausführlicher: Hätte (hättefahrradkette) der #effzeh zwei bis drei Tore mehr geschossen (und dem entsprechend auch zwei, drei Punkte mehr) wäre ich mit dem Saisonauftakt mehr als zufrieden. Die Spielanlage ist gut, die Leidenschaft da, selbst diese junge und unerfahrene Mannschaft kann in guten Momenten spielerisch Zweitliga-Spitzenfußball zeigen. Eigentlich ist mir nicht bang um den #effzeh, wenn ich nicht wüsste, dass es – gerade beim glorreichen 1. FC Köln – manchmal noch schlechter kommen kann, als man denkt.
Etwas anders ist die Situation bei Union: Ich oute mich hiermit: Ich hatte zwei Geheimfavoriten für einen der Aufstiegsplätze auf der Rechnung, der eine führt die Tabelle ohne Punktverlust an, der andere war Union. Tja. Das schwierige ist, dass es nicht richtig fest machbar ist, woran es eigentlich liegt. Ganz sicher glänzt auch Union nicht gerade im Sturm (3 der 5 Tore fielen im ersten Spiel), Terodde arbeitet sehr gut, ein Knipser ist er aber auch nicht. Aber es liegt wohl eher daran, dass es Union zu selten gelingt, zwingende Torchancen zu kreieren, der plötzliche Weggang von Chinedu Ede schmerzt. Und: erster Unmut macht sich breit, weit weniger als das anderswo bei einer derartigen Diskrepanz zwischen Hoffnung und Realität der Fall wäre, aber immerhin.
Was macht die Alte Försterei so besonders?
Wo ich gerade von Unmut schreibe: Ich hab es in den elf Jahren nur in einer Saison erlebt, dass es Pfiffe gab, das war beim direkten Durchmarsch von der zweiten in die vierte Liga. Ansonsten ist die Unterstützung, egal wie es läuft, grandios. Das hat viele Gründe, aber einer ist sicher dieses Stadion. Die Waldseite (Hinter dem Tor) und Gegengerade bestehen komplett aus Stehplätzen. Dass die Haupttribüne derzeit im Bau ist, macht keinen großen Unterschied, da sie vorher so klein war, dass da eh nicht viel kommen konnte. Das Stadion an der Alten Försterei gehört zum Dreiklang der Unioner: Das hier ist unser Verein, unser Stadion, unsere Mannschaft. Dieses Selbstverständnis in dieser Ausprägung findet man sonst selten. Und die Stimmung ist natürlich sehr, sehr gut, wie gesagt: selbst wenn es mal nicht so läuft.
Wie würdest du einem Kölner Union Berlin beschreiben?
Zunächst einmal: Wirf Deine Ossi/Wessi Klischees über Bord. Einige davon mögen vielleicht stimmen, aber solange Du sie mit Dir herum trägst wie ein Brett vor dem Kopf, kannst Du nicht zuhören. Ansonsten: Ein kleiner Stadtteilverein, der auch gar nicht viel mehr sein möchte, außer vielleicht gegen Hertha gewinnen, wann immer es geht. Viel Herzlichkeit. Viel Liebe für die Mannschaft und den Verein. Die emotionale Verbundenheit der beiden Vereine ist ähnlich stark, stell Dir also den #effzeh vor, nur kleiner, enger, ohne den großen Kommerzdreck im Stadion und vor allem ohne den Willen der Fans und der Medien, jederzeit den Daumen zu senken. Ach ja, und ohne Karnevalslieder.
Und dann natürlich im Gegenzug, wie würdest du einem Berliner den 1.FC Köln beschreiben?
Hier fällt es mir schwer, etwas aus dem Hut zu zaubern, was nicht alle schon wissen, der Bekanntheitsgrad des #effzeh ist halt ungleich viel höher. Vielleicht diese kleine Anekdote: Damals beim Hinspiel des einzigen Pflichtspielaufeinandertreffen der beiden Vereine stand es nach 9 Minuten in Müngersdorf 3:0 für den #effzeh. Grund genug also für die Unioner das zu tun, was sie dann taten: zu singen. “Ditt wird ne janz enge Kiste” (und wie recht sie hatten, das Spiel ging sehr knapp 7:0 aus) ist noch heute jedem Unioner ein Begriff. Warum ich die Geschichte hier, bei dieser Frage, erzähle: Kölner, die damals dabei waren, waren voller Lob: das hatten sie noch selten erlebt, dass gegnerische Fans fast bessere Stimmung als sie selbst verbreiteten und das bei einer 7:0 Klatsche – sowas mag der Kölner.
Kann man sagen Union Berlin ist dein Ruhepol, wenn es in Köln mal wieder heiß her geht? Immerhin sind die beiden Vereine ja von ihrem Gesamtauftritt sich komplett verschieden.
Hm, “Ruhepol” klingt ein wenig übertrieben. Von dem, was nach außen dringt, mögen beide Vereine tatsächlich Gegenpole sein, aber wenn man sich binnen ein wenig auskennt, sind viele Dinge ziemlich ähnlich, auch wenn es beim einen Verein permanent nach Pech und Schwefel riecht, weil wieder irgendeine Hexe verbrannt werden soll. Aber sicher ist beim FCU alles beschaulicher, weil kleiner und schon allein dadurch harmonischer. Das Gesamtpaket Union ist einfach gut für die Fußballfanseele.
Noch ein paar letzte Worte, bevor es los geht?
Wie sagte Sinkiewicz einst: “Bleiben Sie anständig”. Es muss ja nicht gleich eine Fanfreundschaft entstehen, aber mir ganz persönlich wäre es schon recht, wenn man sich respektvoll begegnet.
Vielen Dank, dass du dir kurz die Zeit genommen hast und wir wünschen Dir dann viel Spaß heute Abend im Stadion.
(sb)
Veranstaltungstipp:
Top Gespräch. Hab ich sehr gern gelesen.
Viel Spaß dann beim 6:6 heute Abend.
Schön und sauber auf den Punkt gebracht. Oder waren es die Punkte?
sauber und emotional, nachvollziehbar und voller respekt für seine leidenschaft, ich habs auch sehr genossen, herzlichst und eisern die punkte geteilt, obwohl ich sie heute gerne hier in berlin behalte, weiter schreiben!